Lebenslang auf Zucker

Warum wir dem Süßen so schlecht widerstehen können

Zucker gehört schon vor der Geburt zu unserem Leben. Noch bevor wir hören oder sehen können, schmecken wir! Bereits in der achten Schwangerschaftswoche bilden sich beim Embryo die Geschmacksknospen. Zwischen dem fünften und siebten Schwangerschaftsmonat nimmt das Ungeborene so viele Aromen wahr, wie die meisten Menschen später nie wieder. Dieser Zeitraum ist der Entwicklungshöhepunkt der Geschmacksknospen, die sich gegen Ende der Schwangerschaft und nach der Geburt zahlenmäßig wieder zurück entwickeln. Das Fruchtwasser, in dem das Ungeborene schwimmt, enthält viele Nährstoffe – unter anderem Zucker – und schmeckt deswegen normalerweise süß. Etwa ab der 14. Schwangerschaftswoche beginnt der Fötus in kleinen Schlucken davon zu trinken, im letzten Schwangerschaftsdrittel sind es täglich fast ein halber Liter.

Was die Mutter isst, das kostet auch ihr Kind. Wissenschaftler*innen haben festgestellt, je süßer das Fruchtwasser ist, desto häufiger schluckt das Ungeborene. Die meisten Aromastoffe aus dem Essen der Schwangeren finden sich nach kurzer Zeit im Blut und Fruchtwasser wieder. Isst die Mutter beispielsweise viel Süßes, stärkt dies den veranlagten Süßhunger des Nachwuchses. So werden wir schon vor der Geburt an Süßes gewöhnt. Und das kann unsere Geschmacksvorlieben fürs Leben prägen.

Nach der Geburt geht es weiter mit der süßen Lust: Muttermilch enthält ca. sechs Prozent Milchzucker. Süß ist ein sogenannter „Sicherheitsgeschmack“ und weist auf sichere, also ungiftige Nahrung hin. Ein bitterer Geschmack warnt hingegen vor giftigen Nahrungsmitteln. Das Neugeborene verbindet das Stillen also nicht nur mit Sättigung, sondern erfährt Sicherheit und Geborgenheit. Das erklärt, warum wir als Erwachsene gerne süß essen, manchmal sogar Trost suchen durch den Verzehr von Süßigkeiten und Schokolade.

Zucker ist nicht nur ein Signal für Sicherheit, sondern liefert uns auch Energie. Für unsere Vorfahren war energiereiche Nahrung ein Überlebensvorteil. Sie brauchten schnell verfügbare Energie, um vor plötzlich auftauchenden Gefahren zu fliehen. Und Zucker, d.h. einfache Kohlenhydrate, wird rasch verdaut und liefert diese Energie. Auch unser Gehirn, das sich im Lauf der Evolution stetig vergrößerte, braucht Zucker um zu arbeiten.

Die Evolution hat nicht mit ständig gefüllten Supermarktregalen geplant, also neigen wir noch heute dazu, Zucker bei jeder Gelegenheit zu uns zu nehmen – und das wird uns schnell zum Verhängnis. Zucker ist überall leicht und billig verfügbar. Wir müssen uns nicht mehr anstrengen, um in seinen Genuss zu kommen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Der Zuckerverzehr in Deutschland liegt bei ca. 35 Kilo pro Kopf im Jahr (Quelle: Wirtschaftliche Vereinigung Zucker @statista 2020). Das sind fast 100 Gramm am Tag – 40 Stück Würfelzucker! Der heutige Verbrauch ist fast viermal so hoch wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Maximaldosis empfiehlt, nämlich 25 Gramm.

Zuviel Zucker in der Ernährung erhöht das Risiko für Übergewicht und Typ-2-Diabetes und fördert die Entstehung von Karies. Der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zufolge sind 59% der Männer und 37% der Frauen in Deutschland übergewichtig.

Was können wir also tun um Zucker im Alltag zu reduzieren?

Unser Körper braucht Kohlenhydrate, aber nicht unbedingt Zucker. Kohlenhydrate bestehen vereinfacht aus Kohlenstoff und Wasser. Wir unterscheiden zwischen

• Einfachzuckern wie Traubenzucker und Fruchtzucker
• Zweifachzuckern wie Haus­haltszucker oder Milchzucker
• und komplexen Kohlenhydrate wie Stärke.

Stärke steckt auch in Brot, Kartoffeln Nudeln und Gemüse. Sie muss länger verdaut werden und so ist der Körper länger satt.

Viel Zucker in Form von Einfach- und Zweifachzuckern steckt in stark verarbeiteten Lebensmitteln. So zum Beispiel in Milchprodukte wie Frucht-Joghurt, Fruchtquark, Milchmischgetränken, aber auch in Fertig-Soßen, Ketchup, Dressings und Fertiggerichten. Sie sollten deshalb selten gegessen oder selbst zubereitet werden. Dann kann man den Zuckergehalt reduzieren, indem man beispielsweise frische Früchte mit Quark oder Joghurt mixt.

Viel Zucker findet sich auch in gesüßten Erfrischungsgetränken. Diese lassen sich auch selbst herstellen oder durch Wasser und ungesüßte Tees ersetzen.

Auch Obst und Obstsäfte enthalten natürlicherweise viel Zucker. Deshalb sollte der Verzehr beschränkt werden. Zwei Portionen Obst pro Tag, von denen auch eine Portion Saft sein kann, sind genug (z.B. 1 Glas Orangensaft und ein Apfel oder eine Banane).

Ebenso sind viele sogenannte Kinderlebensmittel oft stark zuckerhaltig. Sie sind für eine ausgewogene Kinderenährung überflüssig und können getrost weggelassen werden!